kopfschwul

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Typus B: kopfschwul
(Die verwendeten Namen sind natürlich Pseudonyme)

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Identitätskonzept

Den nächsten Typus nennen wir den Kopfschwulen, da dieser eine sehr intellektuelle Version seines Schwulseins entwickelt hat. Der Kopfschwule fällt dadurch auf, dass ihm die eigenen Gefühlswirklichkeiten eher fremd bleiben. Wie alle anderen Männer erlebt auch der Kopfschwule seine ersten homosexuellen Gefühle oder Erfahrungen als belastend. Den Ausschlag für die Entscheidung der Frage, ob er denn nun selber homosexuell sei oder nicht, gibt jedoch in vielen Fällen nicht das eigene Empfinden, sondern die (Experten-) Meinung Außenstehender. Sehr häufig wird der Psychiater bzw. Psychologe als Fachmann zu Rate gezogen.

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Informationssteuerung     Zurück zum Inhaltsverzeichnis des Buches

Hinsichtlich der Informationssteuerung lassen sich bei dem Kopfschwulen zwei unterscheidbare Strategien erkennen. Entweder streut er mehrdeutige Hinweise eher beiläufig und dabei immer in der Erwartung, von den anderen auf die eigene Homosexualität angesprochen zu werden, oder es kommt zu recht unkontrollierten provokanten Eröffnungen. Im ersten Fall avancieren Indifferenz und Passivität zur Handlungsmaxime, womit die Betreffenden alle Kontrollmöglichkeiten über potenziell diskreditierende Situationen vorab aus der Hand gegeben haben. Folglich erwischt sie eine Bloßstellung meist zu einem höchst ungünstigen Zeitpunkt:

Karl-Heinz, 39 J., Psychologe: Das Gespräch mit meinen Eltern ist eigentlich nicht von mir aus zustandegekommen. Das muss ich zugeben. (...) Ich hab’ irgendwann einen Brief von einer homosexuellen Aktions­gruppe auf dem Schreibtisch einfach offen liegen gelassen. Da stand halt drin, wo und wann sich diese Gruppe trifft. (...) Ja, und prompt hat den auch meine Mutter gefunden und gelesen und dann hat es Zeter und Mordio gegeben. Sie hat geschrien usw. Ja, so ist das Gespräch mit meinen Eltern zu Standegekommen.

Paul, 35 J., Schauspieler: Ich habe es eine Zeit lang drauf angelegt, dass mich meine Eltern fragen sollten. Ich habe mich sehr feminin verhalten und angezogen. Die haben aber nie nachgefragt. Da konnte ich so viel rumtucken, wie ich wollte. Und dann bin ich einmal am Telefon, als ich mit meinem damaligen Freund sprach, aus Eifersucht regelrecht ausgeklinkt. Das kam meiner Mutter komisch vor. Sie fragte dann, ob mir mein Freund mehr bedeuten würde, als es einem Mann normalerweise bedeuten würde. Ich weiß nicht, ob sie da schon gesagt hat, dieses schreckliche Wort, bist du ein Homo. Also das kann ich bis heute nicht hören, dieses Wort. Das habe ich sehr abwertend in Erinnerung, einfach scheußlich. (...) Meine Eltern haben mich dann behandelt wie ein Tier. Das sind Sachen, die ich denen bis heute nicht verziehen habe.

Stefan, 22 J., Student: Naja, in meinem Elternhaus habe ich mich dann ziemlich tuntig verhalten. Ich war ziemlich überkandidelt. Naja, und dann ist just am Abend vor meiner schriftlichen Abiturprüfung in Latein diese dezidierte Frage nach meinem Sexualleben gestellt worden. Das war denkbar ungünstig. Ich habe dann keine Lust mehr zum Lügen gehabt und hab’ ‚ja‘ gesagt. Ich hab zugegeben, dass ich eben einen Liebhaber hätte und keine Freundin. Mein Vater hat mich dann nicht ernst genommen und behauptet, ich sei halt bisexuell. Das sei heutzutage so. Das werde sich schon wieder geben. Meine Mutter hingegen ist ziemlich ausgerastet und hat demonstrativ zum Tranquilizer gegriffen.

Die hier geschilderten Ereignisse verdeutlichen, dass bei dieser passiven Informationssteuerung die Situationsdeutung ganz den Eltern überlassen wird. Angesichts der nach wie vor existenten gesellschaftlichen Stigmatisierung homosexueller Lebensweisen können die Eltern in einer solchen Situation meistens nur die negativen Stereotype über den gewöhnlichen Homosexuellen reproduzieren. Den Söhnen fällt es folglich umso schwerer, diese Negativbilder rückwirkend zu korrigieren.

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Intime Handlungsorientierungen 

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Die abstrakte Abwehr bürgerlicher Werte strukturiert letztlich auch die Intimitäts- und Partnerschaftsideale des Kopfschwulen. Auffallend ist, dass ihn insbesondere subkulturelle Leitbilder beeindrucken, die er in negativer Abgrenzung zu den bürgerlichen Sexualnormen und dem Ideal der Romantischen Liebe entwickelt hat.

Bertold, 44 J., Rechtsanwalt: Also, meine ganzen Vorurteile gegenüber Schwulen hatte ich ja auch. Nämlich zu sagen, die haben nichts anderes zu tun, als irgendwelche Knaben zu verführen. Ich hab die nur positiv besetzt und dachte: ‚Endlich passiert das.‘ Und dann passierte gor nix.

Schwule Sexualität hebt sich gegenüber der heterosexuellen Variante dadurch ab, dass sie ohne jegliche Erwartung auf partnerschaftliche Bindung ausgelebt werden kann. Sexualität lässt sich nach diesem Verständnis problemlos von jeder emotiven Zuneigung zu einem Partner entkoppeln. Ein solches hedonisti­sches Sexualitätsideal reflektieren die folgenden Ausführungen:

Rolf, 29 J., Schauspieler: Durch den Peter habe ich gelernt, dass Sex etwas zum Genießen ist. Also, ich möchte dabei keine Bindung haben, so mit Ehekrach, also so die Schwulenehe. Er hat mir immer vermittelt, dass das furchtbar ist. Sexualität ist eben etwas ganz Natürliches und hat nichts damit zu tun, dass man nun monogam heiraten muss.

Horst, 49 J., Einzelhandelskaufmann: Eine gute sexuelle Situation braucht nur zehn Minuten dauern, das reicht aus. Ich sehe nicht ein, warum daraus dann unbedingt eine Beziehung werden muss.

Das hedonistische Sexualitätsideal beinhaltet auch spezifische Vorstellungen über die bei Schwulen gängigen Sexualpraktiken. Der Kopfschwule versucht, dem negativ besetzten Klischee vom Analverkehr der Homosexuellen durch Umwertung beizukommen. Dieses abstrakt hergeleitete Ideal dient als Vorbild für intime Handlungen. An diesem Leitbild hält der Kopfschwule selbst dann noch fest, wenn ihm das Ausleben analer Sexualpraktiken subjektiv die größten Schwierigkeiten bereitet:

Karl-Heinz, 39 J., Psychologe: Natürlich war mir klar, Schwule, die ma­chen eben Arschficken. Das zählt so zum Wesen, das ist so das Wesent­liche.

Jürgen. 33 J., Arzt: Ich habe immer das Gefühl gehabt, anale Sexualität gehört zu ‘nem vollständigen Schwulen dazu. Und deshalb habe ich es auch immer mal wieder versucht.

Arnim, 29 J., Optiker: Ich habe immer den Eindruck gehabt, dass alles andere als Analsex irgendwie als minderwertig angesehen wird. Analsex ist so der Dreh- und Angelpunkt, und alles andere ist irgendwie nur Beiwerk.

Alex, 29 J., Student: Ein Typ, der mich mal nach Hause abgeschleppt hat, der hat mich gebumst, und das hat furchtbar wehgetan. Ich habe also richtig gelitten. Ich konnte auch nicht sagen, ich will es nicht. Ich wäre mir wie ein Versager vorgekommen. Ich wollte das nun durch­ziehen, egal wie weh es tut oder nicht, und es hat wirklich furchtbar wehgetan.

Bertold, 44 J., Rechtsanwalt: Ficken! Ficken zum Beispiel! Ich hatte die Vorstellung, ganz klar, wenn man als junger Mann erscheint, stürzen sich die Schwulen auf einen und vergewaltigen einen. Und da wartete ich drauf.

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