gliedschwul

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4. Kapitel
(Die verwendeten Namen sind natürlich Pseudonyme)

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Ergebnisse

Wir haben nun einige sozialmedizinische Voraussetzungen geklärt und unsere begriffliche Konzeption vorgestellt, mit der wir einige Bezüge zwischen Aids und Homosexualität empirisch klären wollen. Aus der Gesamtzahl von 111 Fällen entwickeln wir eine Typologie, die den strukturellen Zusammenhang von Identität und Intimität mit Blick auf das gesamte untersuchte Feld sichtbar macht. Anschließend setzen wir diese Typologie mit der HIV-Verteilung in unserer Stichprobe in Bezug, um die Bedeutung dieses Zusammenhangs für die HIV-Suszeptibilität der homosexuellen Population zu untermauern. Die Unter­suchungsmethode wird in Anhang I beschrieben. Eine Gesamtübersicht zu den Befragten befindet sich in Anhang II.

Typik des Schwulseins

Einführend erläutern wir das Verfahren der Typenbildung, das es gestattet, die Vielfalt der Einzelfälle zu strukturieren. Natürlich steht jedes Individuum für sich, verläuft jede Biografie besonders. Aber um den Zusammenhang zwischen Stigma-Management und sexuellem Handlungsstil zu begreifen, müssen wir uns auf eine allgemeinere Ebene begeben, von wo aus wir die Regelmäßigkeiten erkennen können. Das Vorgehen wird hier in aller Kürze erläutert.

Bei der Analyse der Gesamtstichprobe haben sich sechs Kategorien heraus­kristallisiert, gewissermaßen die ‚Schubladen‘, in welche jeweils eine Reihe von Fällen hineinpasst. Die Befragten jeder Teilgruppe weisen eine innere Ähnlichkeit auf. Die Ähnlichkeit wird offenbar, wenn die einzelne Biografie mit dem allgemeinen Muster, dem so genannten Idealtypus, verglichen wird, den sie in Teilen verwirklicht. Keine Einzelbiografie geht in dem Typus vollständig auf; es bleiben mehr oder weniger große Bereiche, die nur dem Individualfall zu Eigen sind (vgl. hierzu Gerhards 1989; Giegel, Frank und Biller­beck 1988; Haupert 1991; Reichertz 1990).

Einzelne Aussagen unserer Interviewpartner illustrieren das jeweilige Typenmuster. Sie erfassen logischerweise nicht mehr alle spezifischen Merkmale der Einzelfälle, wohl aber alle im Feld vorhandenen wesentlichen Unterschiede hinsichtlich der für die Untersuchung relevanten Merkmalsausprägungen. Das Verfahren der Typenbildung ist im Grunde eine differenziertere und systematischere Form des alltäglichen Stereotypisierens. Es ist der »Versuch, auf Grund des jeweiligen Standes unseres Wissens und der uns jeweils zur Verfü­gung stehenden begrifflichen Gebilde, Ordnung in das Chaos derjenigen Tatsachen zu bringen, welche wir in den Kreis unseres Interesses jeweils einbezogen haben« (Weber 1973, S. 207). So wahr es mindestens so viele Ausdrucksformen des Stigma-Managements und des sexuellen Handlungsstils gibt wie Homosexuelle, als so sicher dürfte gelten, dass sich individuelle Ausprägungen im Verhältnis von Identität und Intimität ähneln - schon deshalb, weil sich deren soziale Bedingungen gleichen. Anders ausgedrückt existieren zwar mannigfache Möglichkeiten, auf stigmatische Restriktionen zu reagieren - nicht aber beliebig viele, Homosexualität in einen als sinnvoll erlebten Handlungszusammenhang zu integrieren.

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Identitätskonzept

Wir haben den ersten Typus die Gliedschwulen genannt, da sich die betreffenden Männer durch ein auf Sexualität reduziertes Selbstbild auszeichnen. Dabei dokumentieren sie auf verschiedene Art und Weise eine große kognitive und emotive Distanz zu ihrem Homosexuellsein.

Ein Teil der Männer bringt diese Vorbehalte zum Ausdruck, indem er die Zugehörigkeit zur Sozialkategorie der Homosexuellen abstreitet. In diesem Fall deutet er die eigenen sexuellen Erfahrungen auch als ganz normalen Sex oder als Bisexualität. In jedem Fall weist er die Möglichkeit weit von sich, einer Gruppe von Außenseitern anzugehören. Wie die folgenden Textsequenzen illustrieren, legt dieser Teil der Gliedschwulen Wert auf die Feststellung, dass das eigene Leben ganz der gesellschaftlichen Norm entspricht, demnach also ein ganz normales Leben geführt wird:

Winfried, 40 J., Betriebswirt: Ich bin halt mit meinen normalen Freunden weiterhin zusammen geblieben. Zu diesen zählten auch viele Frauen. Ich habe halt versucht, relativ normal zu leben. Hier und da mal ne Freundin, mit der ich zusammen war, das war alles vollkommen normal. (...) Mit meiner Frau kann ich auch abends zusammensitzen und mich unterhalten. Wir haben dann keinen Sex dabei und führen eben ein ganz normales Eheleben.

Udo, 49 J., Buchhalter: Ich habe immer gedacht: bisexuell oder so was. Wenn du nur ne vernünftige Frau hast, so hinsichtlich der zwischenmenschlichen Art, dann müsste das gehen. (...) Meine sexuellen Kontakte zu Männern empfand ich eigentlich immer als ganz normal.

Interviewer: Wissen deine Eltern, dass du hier mit ‘nem Freund zusammenlebst? Bernd, 25 J., Arbeiter: Ja, das wissen die. I: Auch, dass das eine intime Beziehung ist? Bernd: Das wissen sie nicht. Das konnten wir irgendwie immer verheimlichen, indem wir ganz normal als Freunde zusammenleben. Wenn meine Eltern mal vorbeikommen, dann sind wir ganz normal. So ganz normal auch angezogen.

Der andere Teil der gliedschwulen Männer bekundet seine emotionale Distanz zur Homosexualität, indem er die eigenen sexuellen Erfahrungen als abstoßend und Ekel erregend schildert und unumwunden zugibt, dass er unter seinem Anderssein leidet. Oftmals kann er seine inneren Vorbehalte nur durch starken Alkoholkonsum überwinden:

Kai, 27 J., Fotograf: In der Subkultur war mir immer alles suspekt. Nach dem Besuch der Disco habe ich mich erst einmal zwei Stunden zu Hause geduscht, weil ich mich einfach nur dreckig fühlte. Die ganze dunkle Szene und die Typen konnte ich einfach nicht mehr sehen. Das alles war hyperschrecklich für mich. (...) Ich fand das alles ekelhaft, schmuddelig und dreckig, und dementsprechend fühlte ich mich auch.

Mario, 23 J., Koch: Ich habe mich eigentlich immer dreckig gefühlt. Dreckig in dem Sinne, dass ich mich vor mir selber geschämt habe. Mir war aufgrund meiner Erziehung klar, also Homosexualität, das darf nicht sein, das gehört sich nicht. Ich wusste immer, jetzt hast du wieder irgendwie was Verbotenes gemacht. Ich habe dann zu Hause im Bett gelegen und gedacht: also nein, nie wieder.

Thorsten, 40 J., Hausmeister: Ich habe mein Schwulsein im Unterbewusstsein immer als Makel empfunden. Vielleicht empfinde ich das auch nur als Makel, obwohl ich nicht so lebe, als ob es ein Makel wäre.

Peter, 27 J., Bankkaufmann: Mir kam das, was ich getan hab an Schwul­sein, immer ziemlich schmierig und schmuddelig vor, weil damit wirklich kein Gefühl verbunden war. Oft war es so, dass ich das nur noch betrunken ausgehalten hab.

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